Ada Lovelace Festival: Fachwissen sticht Gendertalk

Veröffentlicht von am 15 Nov 2015

Na also, es geht doch – eine Konferenz, bei der Wissenschaftlerinnen, IT-Entwicklerinnen und Managerinnen mit ihren Fachbeiträgen und ihrer Begeisterung für Technik die Bühne rocken. So eine Konferenz darf sich dann auch mal Festival nennen.

 

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Den Organisatoren von Euroforum und Wirtschaftswoche ist in Zusammenarbeit mit einem hervorragend besetzten Advisory Board (u.a. Sanja Stankovic von den Digital Media Women, Tina Kulow von Facebook und Christine Regitz  (SAP) mit dem ersten „Ada Lovelace Festival“ Ende Oktober in meinen Augen eine großartige Veranstaltung gelungen. Und das nicht, weil die beeindruckende Atmosphäre der Bolle-Festsäle alles überstrahlt hat, sondern weil die Inhalte der Referentinnen aus dem In- und Ausland einfach spannend waren und die Begeisterung für technische Themen ständig zu spüren war – ob auf der Bühne, oder in den Pausen.  Zwar kam in fast jedem Vortrag das Thema Diversity und die immer noch geringe Zahl von Frauen in der IT-Branche vor, im Mittelpunkt stand jedoch die Arbeit der Referentinnen an aktuellen Schlüsselthemen rund um den digitalen Wandel und die wachsende Bedeutung von neuen Technologien und Software für alle Unternehmen.

„Wir wollen die Pionierinnen feiern“, begrüßte die Chefredakteurin Online der Wirtschaftswoche Franziska Bluhm die rund 250 Besucherinnen, und schlug damit den Bogen zur Namensgeberin der Konferenz Ada Lovelace. Die britische Mathematikern verfasste bereits 100 Jahre vor der Erfindung des Computers das erste Programm für eine mechanische Rechenmaschine (Analytical Engine), die allerdings zur ihrer Zeit nicht gebaut wurde. Übrigens berichtete Bluhm auch, dass es gar nicht so schwierig war, tolle Rednerinnen auf die Bühne zu holen (von denen ich in diesem Artikel nur ein paar vorstellen kann). So so, da lässt sich doch vielleicht was abschauen, liebe Konferenzmacher und -macherinnen im Lande?

„Die zwei Tage in Berlin zeigten, wie viele Frauen die digitale Zukunft unserer Gesellschaft mit Ihrem Know-how, ihrer Innovationskraft und ihren Ideen auf höchstem Niveau gestalten“, sagte Regina Mehler, Gründerin der Women Speaker Foundation, im Anschluss an die Konferenz. „Hier war zwei Tage lang unglaublich viel Energie zu spüren“, so Mehler, die ebenfalls im Advisory Board mitwirkte und gewohnt souverän wie charmant einen eigenen Vortrag darüber hielt, wie Frauen ihre eigene Marke stärken können. „Sagt Ja, wenn es um neue Chancen im Job geht, sagt Ja, wenn das Angebot für einen Vortrag kommt“, ermutigte die Sprecherin ihr weibliches Publikum. Ein Format, um die eigene Präsenz im Meeting oder auf einem Panel zu stärken ist beispielweise die „Generalprobe“, die von der Women Speaker Foundation angeboten wird.

 

Wirbelwind mit Mission

Mit ihrem ganz eigenen, fast kindlichem Charme fing Linda Liukas gleich zu Beginn des Festivals die Zuhörerinnen ein. Es gab wohl kaum jemanden im großen Saal, der sich nicht von der Begeisterung und der unglaublichen Energie der Rails Girls– Mitbegründerin anstecken ließ. Die Finnin bewies, dass erfolgreiche Frauen eben nicht die besseren Männer sein müssen, sondern dass die eigenen Ziele auch mit dem eigenen Stil erreicht werden können. „Technology is Electricity that loves“, ist nur eines ihrer wunderbaren Zitate.

„Code is the next universal language“, so die Überzeugung von Liukas. „Every business will be a software business. Let´s not create consumers, let´s create creators“, appellierte die Finnin und hielt deshalb ein flammendes Plädoyer dafür, mehr Kinder und vor allem Mädchen fürs Coden zu begeistern. Die Rails Girls bieten dafür speziell konzipierte Workshops an. Liukas hat mit ihrem Kinderbuch „Hello Ruby“ und der kleinen Hauptfigur einen echten Exportschlager geschaffen, der spielerisch Lust auf Technik macht und nicht nur Kinder anspricht, die sowieso schon Lust auf Mathematik oder Informatik haben. Bleibt zu hoffen, das das Buch auch bald in deutscher Sprache zu haben sein wird.

 

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Die Schönheit von Daten

Können Daten schön sein? Wer den faszinierenden Vortrag von Christiane Wittmann (IT-Strategy Director MRM/McCann) gehört hat, kann zumindest nachvollziehen, was sie damit meint. Laut Wittmann sind Daten zunächst einmal „rein“. In der digitalen Welt präsentiere sich das Wissen heute in völlig neuer Form, denn immer haben Computer das mit erschaffen, was wir sehen – so werde den Daten eine bestimmte Bedeutung gegeben. Aber: „Ohne Daten ist jeder Algorithmus, jedes Programm, jede Oberfläche nichts wert. Software ist ein von Menschen gemachtes Konstrukt“, erklärte Wittmann. „Wir müssen entscheiden, wie wir sie gestalten.“ Vor allem Unternehmen stehen dabei vor einer riesigen Herausforderung. Laut Gartner werden bis 2017 ein Drittel der Fortune 100-Unternehmen eine Informationskrise erleben. Um in der digitalen Transformation zu bestehen, bräuchten Unternehmen eine Vision und eine Strategie, um diese Vision zu erfüllen. Dabei so groß zu denken wie Google oder Amazon mache keine Sinn, rät Wittmann. „Oft ist weniger mehr.“ Die IT-Strategin ermutigte ihr Publikum die Schönheit der Daten für neue Geschäftsmodelle zu nutzen, so wie es beispielsweise schon heute Carsharinganbieter tun. „Smart Data statt Big Data“, lautet dafür Wittmanns Empfehlung.

 

 

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Wie werden wir künftig zusammen arbeiten?

Sissi Closs, Professorin für Informations- und Medientechnik Hochschule Karlsruhe, hat in den von ihr selbst gegründeten Unternehmen schon früh moderne Formen der Zusammenarbeit wie Wikis oder interne Social Networks eingeführt und ist dafür bereits mehrfach ausgezeichnet worden. Aus ihrer Sicht kann „Smart Collaboration“ dazu beitragen, dass Teams effizient zusammenarbeiten, ganz unabhängig von Zeit oder Ort.

 

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„Wenn die Zusammenarbeit in Teams funktioniert, entwickelt sich daraus eine ungeheure Schlagkraft“, so die Erfahrung von Sissi Closs. „Wir brauchen diese Zusammenarbeit, um Innovationskraft voran zu bringen“, sagt die Professorin. Sie weiß aber auch: „Technik allein reicht dafür nicht aus.“ Vielmehr müsste die Verwendung von neuen Tools regelmäßig und auf allen Ebenen trainiert werden. Über diese gezielte Übung in der Praxis erkennen die Mitarbeiter im Idealfall den Mehrwert ganz für sich. Die größte Hürde, sich diesen neuen Möglichkeiten zu öffnen, sei die Angst davor, langjährig aufgebautes Wissen zu teilen und damit einen Machtverlust zu riskieren. Schließlich bedeute Smart Collaboration auch immer einen Kulturwandel und den Abbau von Hierarchien. Viele Mitarbeiter sind außerdem unsicher im Umgang mit den neuen Technologien, schließlich gibt es heute schon so viele Kanäle und eine regelrechte Informationsflut. „Die Technik darf nur Mittel zum Zweck sein“, appellierte Closs. Die Funktionen sollten deshalb auf ein Minimum reduziert werden. Im permanenten Feedback, der automatisierten Verteilung von Aufgaben und einer totalen Transparenz der Ergebnisse, wie sie digitale Technologien ermöglichen, sieht die Professorin hingegen eine große Gefahr. „Hier geht der Spaß an der Arbeit verloren“, weiß die Gründerin.

 

Gestatten, mein Name ist Nadine

Nadia Magnenat-Thalmann (Director MIRALabs, Universität Genf) befasst sich schon lange mit Robotern. Ihr Spezialgebiet sind so genannte humanoide Roboter, die Menschen in ihren Bewegungen oder ihren Funktionen ähneln. Forscher aus aller Welt arbeiten an einem Abbild des Menschen, das mit künstlicher Intelligenz aufwartet. „Aber sich in Richtung menschlicher Intelligenz zu bewegen heißt für Roboter, dass sie in der Lage sein müssen, mit der realen Welt sozial zu interagieren“, weiß Magnenat-Thalmann. Dazu gehört beispielsweise, dass sich ein Roboter an ein Treffen mit einer bestimmten Person erinnert und auf deren Erwartungen oder Eigenarten reagieren könnte. Bis dahin ist es noch ein langer Weg, obwohl Sensoren, Kameras und CPUs immer leistungsfähriger werden. Nadia Magnenat-Thalmann wagte deshalb ein besonderes Experiment: Sie entwickelte eine humanoide Roboterdame nach ihrem Vorbild und nannte sie „Nadine“. Viele Menschen, so belegen Studien, stehen Robotern nur bis zu einem gewissen Grad an menschlicher Ähnlichkeit offen gegenüber. Humanoide Wesen wie Nadine sind deshalb eine spannende Herausforderung, nicht nur aus technischer Sicht. Eigentlich Nadine in Singapur zuhause, wo Nadia Magnenat-Thalmann ebenfalls lehrt. Temporär ist ein Exemplar jedoch noch bis zum 10. Juli 2016 in Paderborn zu bestaunen, im Rahmen der Sonderausstellung „Am Anfang war Ada“ im Heinz Nixdorf Museumsforum. Allein deshalb lohnt sich der Ausflug nach Ostwestfalen (hier geht es übrigens zu meinem Blogartikel über die Ausstellung).

 

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Wie Maschinen von uns lernen – und wie GAFA das nutzt

Alina Hückelkamp, Chief Strategy and Innovation Officer bei Razorfish Deutschland, hat schon als Kind gemeinsam mit ihrem Bruder eine geheime Programmiersprache entwickelt und Familientreffen zu Hacking-Events gemacht. Kein Wunder also, dass die Diplom-Psychologin heute beruflich mit Codes und Co zu tun hat. Sie gab auf dem Ada Lovelace Festival einen Einblick in das spannende Feld „Machine Learning“. „Algorithmen allein können nichts“, so Hückelkamp in Berlin. „Maschinen müssen lernen, wie Menschen ticken.“ Am Beispiel des autonomen Fahrens zeige sich beispielsweise, wie komplex dieses Thema ist und noch werden wird. „Die Maschine muss trainiert werden und lernt aus Eingriffen und dem Verhalten des Menschen.“ Aber: Wie programmiert man Ethik in ein Auto, wie etwa die Entscheidung bei autonomen Fahrten, falls ein Unfall droht – soll das Roboter-Fahrzeug im Zweifel lieber dem Fahrer schaden oder einem Kind, einem Motorradfahrer oder anderem Verkehrsteilnehmer? Auf all diese Fragen gibt es längst noch keine Antworten, doch die Entwicklung rast. Denn die „GAFA“-Informationskonzerne (Google, Apple, Facebook, Amazon) haben die Chancen des maschinellen Lernens längst erkannt und bauen mehr denn je ihre Geschäftsmodelle darauf auf.

 

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„Sie sind so gut, weil sie Machine Learning betreiben“, sagt die Razorfish-Strategin. GAFA mache die Web-Welt zu einer App-Welt, mit immer neuen Funktionen, die unser Leben vereinfachen sollen – etwa durch Messenger-Programme, Sprach- oder Gestensteuerung. Und das mit dem nötigen „Human Touch“, denn Algorithmen allein sichern noch keinen Erfolg. Schon heute bietet „WeChat“ aus China über In-App-Funktionen so vielfältige Möglichkeiten, dass es kaum mehr einen Anreiz für die Nutzer gibt, sich aus der App heraus zu bewegen. Vor diesem Hintergrund könnte sich GAFA tatsächlich zum „iOS of Life“ entwickeln, und mehr denn je zum Gatekeeper für Informationen werden, skizzierte Hückelkamp die wohl gar nicht so ferne Zukunft.

 

Ein Ausflug in virtuelle Welten

Die New York Times macht vor, wie Virtual Reality das Storytelling verändern wird. Denn App und eine Datenbrille (in diesem Fall reicht Google Cardboard) ermöglichen zum Beispiel einen bedrückend echten Rundum-Einblick in das Leben von syrischen Flüchtlingskindern. Nicht nur im Nachrichtengeschäft, sondern auch im Bereich Bildung, Social Networks, Multiplayer-Gaming oder Tourismus sind völlig neue Szenarien denkbar, wie Alissia Iljaitsch, Executive Director EMEA von Vectorform zeigte. „In einer Szenerie auf andere Menschen zu treffen, das ist heute noch kaum vorstellbar. Wenn man es erlebt, ist es wie Magie“, beschreibt es die VR-Expertin. Derzeit ist das Eintauchen in virtuelle Welten nur mit Hilfe einer Datenbrille und der entsprechenden Software möglich. So können beispielsweise Gefahrensituationen zu Trainingszwecken simuliert oder Innovationen in Unternehmen bildhaft erklärt werden. Um neue Anwendungen etwa für den Tourismus zu entwickeln fehlt es derzeit noch an den dafür nötigen 3D-Daten. Diese zu erstellen ist heute noch teuer, und es gibt nicht genügend Dienstleister, die sich auf diesem Feld bewegen. „Noch ist alles etwas langweilig“, meint Iljaitsch. Auch gebe es noch nicht die nötigen Netzkapazitäten, große Datenpakete in Echtzeit zu transportieren, zudem müssen die Geräte tragbarer werden. Doch hier wird sich schon bald eine Menge tun – „jetzt ist die Zeit für Start-ups und Tüftler ein Framework zu bauen, für die Inhalte suchen wir ebenfalls den Input von außen“, beschreibt Alissia Iljaitsch die Chancen für Einsteiger und neue Businessmodelle.

 

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Hier geht´s dann noch zur Bildergalerie der Konferenz …

 

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