‚Selbstfürsorge ist auch eine Investition in die eigene Marke‘

Veröffentlicht von am 15 Apr 2019

Dass mein Lieblingscafé Kitchen2Soul in München so einen besonderen Spirit hat, liegt vor allem an den beiden Gründerinnen Katrin Große und Tatjana Reichhart. Sie betreiben nicht nur das Café, sondern sind beide auch Coach und geben Seminare und Workshops in ihren Räumen. Tatjana ist zudem Ärztin und hat nun ein Buch geschrieben, das ich Euch wärmstens ans Herz lege: ‚Das Prinzip Selbstfürsorge – Wie wir Verantwortung für uns übernehmen und gelassen und frei leben.’ Das Buch ist eine ‚Roadmap für den Alltag’  – Frauen und Technik hat nachgefragt.

 

Buchcover_selbstfürsorge

 

 

 

Tatjana, warum hast Du dieses Buch geschrieben?

 

Ganz ehrlich: Ich wollte gar kein Buch schreiben, eigentlich hatte ich diesen Wunsch nie. Aber als mich die Programmchefin des Kösel-Verlags dann gefragt hat, ergab sich doch ein Bild für mich, denn mir liegt das Thema sehr am Herzen. Es betrifft einfach so viele Menschen in meinem Umfeld und im Kreis meiner Klient*innen. Jetzt bin ich froh, dass ich es geschafft habe, denn mir ist es wichtig, den Leser*innen eine Roadmap für den Alltag zu zeigen, die sie wirklich umsetzen können. Ich arbeite übrigens auch genau nach dem, was ich in dem Buch geschrieben habe.

 

 

Warum ist der Bedarf nach Selbstfürsorge heute so groß?

 

Ein wichtiger Grund ist, dass unser innerer Kompass nicht in die Zeit passt. Eigentlich leben wir im Zyklus von Spannung-Entspannung, Arbeit-Freizeit, Tag-Nacht und so weiter. Die Welt um uns herum drängt aber heute stetig linear nach vorn. Dafür, und für die ständige Erreichbarkeit durch digitale Medien, sind wir eigentlich gar nicht gemacht. Da sich das jedoch nicht ändert, müssen wir selbst entscheiden, wie wir unseren eigenen Rhythmus setzen. Für die Generationen vor uns spielte das nicht so eine Rolle, denn sie hatten am Feierabend meist auch frei. Dafür war es dort aber auch nicht sehr verbreitet, in sich hinein zu hören und den eigenen Bedürfnissen zu folgen.

 

 

Was ist Selbstfürsorge denn für Dich persönlich?

 

Selbstfürsorge geht für mich viel weiter über Dinge wie genügend Schlaf oder Sport hinaus. Selbstfürsorge bedeutet, dass ich die Verantwortung für mein Leben und meine seelische und physische Gesundheit übernehme. Das ist mein Fundament. Dafür halte ich regelmäßig inne und reflektiere. Ich überprüfe immer wieder: Wie geht es mir denn gerade? Dazu gehören auch Dinge wie Achtsamkeit und Dankbarkeit.

 

 

War es ein Prozess für Dich, fürsorglicher mit Dir selbst umzugehen?

 

Ja absolut. Wir alle kennen diese Glaubenssätze, die ganz tief in uns verankert sind. So etwas wie ‚Das macht man nicht’, oder ‚Die Arbeit beginnt Montag morgen.’ Mit der Gründung des Cafés haben sich zum Beispiel meine Zeiten verändert – ich hatte Montag frei, hab dann angefangen, länger zu schlafen und vor der Arbeit Sport zu machen, um etwas für mich zu tun. Die Stunden hatte ich ja im Job trotzdem auf der Uhr, denn sehr häufig finden im Kitchen2Soul Abendveranstaltungen statt, die wir betreuen. Das zu sehen, und mich deshalb nicht mehr innerlich komisch zu fühlen, hat doch etwas gedauert. Genauso wie der Schritt, eine Office Managerin einzustellen, um uns weiter zu entlasten.

 

 

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Katrin Große und Tatjana Reichart (re.) in ihrem Café und Buchshop ‚Kitchen2Soul‘

 

Wann merke ich, dass ich mehr Selbstfürsorge in mein Leben bringen sollte?

 

Wenn sich schlechte Gefühle breit machen oder schlimmer noch, Krankheiten entstehen, sind das immer wichtige Wegweiser. Ein Beispiel: Eigentlich merke ich, dass ich heute nicht mehr länger arbeiten möchte und dass ich eigentlich auch gar nicht mehr produktiv bin. Ich will mich nicht vor den Kollegen rechtfertigen, spüre aber die Diskrepanz zwischen dem, was mir gut tun würde und dem, was ich tatsächlich tue. Es lohnt sich, diesen Gefühlen und Glaubenssätzen dann auf den Grund zu gehen. Dabei ist es gar nicht wichtig zu schauen, woher die Glaubenssätze kommen. Viel wichtiger ist es, sich selbst zu erlauben, sie infrage zu stellen – und ganz konkret zu schauen: Was passiert denn eigentlich, wenn ich mich jetzt nicht daran halte?

 

 

Wie kann ich das wirklich umsetzen?

 

Wichtig ist, Kontakt mit unserem ‚inneren Antreiber‘ aufzunehmen und für sich so genannte ‚Erlauber‘ zu formulieren. Also beispielsweise für Selbständige: Es ist völlig in Ordnung, vor der Arbeit joggen zu gehen und gemütlich zu frühstücken. Am Anfang wird da noch das schlechte Gewissen auftauchen, das ist völlig normal. Aber schon bald stellt sich das gute Gefühl der Selbstbestimmtheit ein, denn: Es passiert nichts Schlimmes, es geht mir sogar besser. Ich kann selbst entscheiden, wie ich meine Selbstfürsorge einsetze. Das kann soweit gehen zu sagen: Ich will gar keine Führungsrolle im Unternehmen oder: Ich möchte einen ganz anderen Job machen.

 

 

Für viele wirkt Selbstfürsorge ja eher egozentrisch…?

 

Ja, das stimmt. Aber ich verweise dann zum Beispiel auf die Sicherheitsregeln im Flugzeug – denn erst, wenn ich selbst die Sauerstoffmaske richtig aufgesetzt habe, kann ich auch anderen helfen. Es geht darum, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Und wenn wir erstmal schauen, was gut für uns ist, dann können wir auch gut zu anderen sein – was wiederum uns gut tut. Wer für sich selbst gut sorgt, ist ausgeglichener und zufriedener, und kann deshalb auch wieder mehr Harmonie ins eigene Umfeld geben. Die Selbstfürsorge steht damit zwischen der Selbstaufopferung und dem reinen Egoismus.

 

 

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Sollten vor allem Frauen besser für sich sorgen?

 

In meiner Arbeit mit Patient*innen und Klient*innen habe ich gemerkt, dass das Thema Frauen und Männer gleichermaßen betrifft. Während Frauen es häufig allen recht machen wollen und möglichst jede Rolle – von der Mutter bis zur Projektleitung im Unternehmen – perfekt ausfüllen wollen, stehen viele Männer unter dem Druck, Karriere machen zu müssen, viel Geld zu verdienen etc. Frauen suchen sich jedoch schneller Hilfe, das fällt vielen Männern leider schwerer.

 

 

Im Zusammenhang mit Yoga und Achtsamkeit begegnet mir häufig die Haltung: Aha, Du machst Dich also fit, um dann noch mehr leisten zu können? Was sagst Du dazu?

 

Das kenne ich auch, insbesondere aus dem Unternehmens-Umfeld. Wenn dort zum Beispiel Resilienz-Kurse angeboten werden, geht es natürlich auch darum, dass die Leute letztlich nicht ausfallen und besser performen. Es kristallisiert sich aber heraus, dass die Unternehmen, die generell eher ausbeuterisch mit ihren Mitarbeiter*innen umgehen, auch diese Art von Leuten anziehen. Die so genannte Generation Y und Z schaut inzwischen ganz genau hin, ob ihre Lebensqualität mit ihrem Job zusammenpasst und sucht sich Unternehmen, die für andere Werte stehen.

 

Auf der anderen Seite ist es tatsächlich so, dass gerade für uns Selbständige Achtsamkeit und Selbstfürsorge extrem wichtig sind. Ich würde sogar soweit gehen, dass Selbstfürsorge eine Investition ins Business und die eigene Marke ist. Denn wenn ich keine Energie ausstrahle, wenn ich ausfalle, dann spüre ich das direkt. Gerade für Selbständige ist Selbstfürsorge nicht einfach, weil das Interesse und die Leidenschaft für die Sache so stark sind und sich Arbeit und Freizeit damit stark vermischen. Deshalb ist es wichtig zu lernen, immer wieder ‚Nein’ zu sagen. Dasselbe gilt aber auch für Angestellte und Führungskräfte. Führungskräfte, die sich nicht um ihre Gesundheit kümmern, sind wie Handwerker, die ihre Werkzeuge nicht pflegen.

 

Fotos: David Höpfner, privat

 

 

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