#digitaleSchule: Wir brauchen mehr als Informatik

Veröffentlicht von am 30 Nov 2016

Digitale Technik und Ausbildung in Medienkompetenz sind in den meisten Schulen noch immer eher Ausnahme als Regel. Das muss sich ändern. Mehr Geräte und ein Pflichtfach Informatik reichen jedoch nicht.

 

Mein Sohn (9) ist Millionär. Multimillionär. Jeden Freitag darf er sich in seinem Klassenzimmer einen der insgesamt sieben Computer schnappen und eine Viertelstunde vor Schulbeginn darauf spielen. Dafür muss ich ihn sogar früher wecken, und er stürmt – im Gegensatz zu allen anderen Tagen – mit leuchtenden Augen aus dem Haus.

Der große graue Freund, der in der Schule auf ihn wartet, ist mit dem Betriebssystem Windows 7 ausgestattet und stürzt sehr gern mal ab. Das „Wer wird Millionär“-Spiel, das darauf installiert ist, stellt ihm Fragen wie „Wer ist der aktuelle Torwart des FC Bayern?“. Die geforderte Antwort ist erstmal ziemlich lustig: Oliver Kahn.

Inzwischen finde ich das gar nicht mehr so witzig. Denn das Beispiel zeigt eine Menge über die technische Ausstattung, die wohl nicht nur in seiner Grundschule quasi aus der Steinzeit, pardon, Kreidezeit kommt. Sein Lehrer gibt sich zwar alle Mühe, die alten Geräte instand zu halten. Aber auch er kann eigentlich nur den Mangel verwalten.

Das soll sich vielleicht bald ändern. Beim 10. Nationalen IT-Gipfel in Saarbrücken gab es viele Forderungen und Ankündigungen, um unsere Schulen zukunftsfähiger zu machen.

 

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Laptops in der Schule wünschen sich viele Eltern für ihre Kinder

 

Wo wir stehen

 

Konkret sollen aus dem Bundesbildungsministerium nach dem Vorschlag von Ministerin Johanna Wanka fünf Milliarden Euro für die technische Ausstattung an Schulen bereit gestellt werden – einen „Digitalpakt“ haben Bund und Länder dafür geschlossen, die Gelder sollen nur im Gegenzug für entsprechende pädagogische Konzepte fließen, die Lehrer müssen dafür entsprechend aus- und weitergebildet werden. Vor allem sollen die Investitionen nicht auf Kosten anderer so nötiger Ausgaben gehen, wie etwa der Sanierung von Gebäuden.

Nach einer aktuellen Untersuchung des Digitalverbandes Bitkom sagen 40 Prozent von mehr als 1000 befragten Eltern, dass der Zustand der Computertechnik an den Schulen ihrer Kinder „schlecht“ oder „sehr schlecht“ sei. Sie fordern eine digitale Schule, allein 66 Prozent von ihnen geben an, dass das eigene Kind durch Computer und Internet in der Schule motivierter ist. 83 Prozent fordern Investitionen in Geräte und digitale Lernmittel.

Die Lehrerschaft ist zwiegespalten. Denn nicht nur die technische Ausstattung – die sich bald verbessern könnte – ist die Voraussetzung für digitalere Schulen. Vielmehr sieht sich ein Großteil der Lehrer (62 Prozent) laut einer D21-Studie gar nicht in der Lage, die neuen technischen Möglichkeiten überhaupt entsprechend einzusetzen. Auch Lernmaterialien sind rar.  Selbst in neuen Auflagen von Schulbüchern tauchen zum Beispiel immer wieder Disketten als mögliche Speichermedien auf.

Immer wieder gibt es die Forderung, dass Informatik zu einem Pflichtfach in der Schule werden soll. Doch das reicht nicht. Zum einen müssen an den Schulen auch tatsächlich die entsprechenden Stellen eingerichtet werden, damit sich Lehramtsanwärter überhaupt erstmal für das Studium interessieren. Zum anderen: Wenn Informatik als Pflicht daher kommt mit genau denselben Bulimie-Lernprinzipien, die momentan auch in den anderen Fächern vorherrschen – ist dann wirklich viel gewonnen? Verschreckt man damit nicht mehr Schülerinnen und Schüler, als davon begeistert werden?

Wie sich Jugendliche ihre digitale Bildung tatsächlich vorstellen hat das #YLK16 Projekt (Youth Leadership Konferenz) eindrucksvoll gezeigt, das im Februar vor dem diesjährigen MINT-Gipfel gestartet wurde. Hier haben 50 junge Leute gemeinsam diskutiert und dokumentiert, was sie von Bildung in der digitalen Ära erwarten. Im ze.tt-Interview erzählen Schüler, was ihnen besonders wichtig ist:

  • statt Geräte wie Smartphones und Tablets einfach zu verbieten, wollen die Teenager vielmehr einen verantwortungsvollen Umgang damit lernen
  • Lehrer sollen digital „mitkommen“ und auch Whatsapp und Co, Beamer und Smartboard bedienen können
  • Hacking, selbst eine App entwickeln – praktische Beispiele mit Bezug zum eigenen Leben sind faszinierender als theoretisches Wissen darüber, wer die ersten Zeilen Code produziert hat
  • Jugendliche wollen auch etwas über die Funktionsweise von Computern und Smartphones erfahren, über Viren, Datensicherheit und Datenschutz – das lernt man eher nicht im klassischen Informatik-Unterricht

 

Neue Initiativen für mehr Spaß am Coden

 

Wie es gehen kann, zeigt beispielsweise das Projekt Jugend hackt – ein Programm, das den Programmiernachwuchs im deutschsprachigen Raum fördert. Der Ansatz: Es gibt Wettbewerbe wie „Jugend forscht“ und „Jugend musiziert“, aber junge Talente aus dem Bereich Software- und Hardwareentwicklung finden nur sehr schwer eine Umgebung, in denen sie sich ausprobieren und vernetzen können. Organisiert von der Open Knowledge Foundation Deutschland und mediale pfade gibt es deshalb Jugend hackt, das inzwischen an immer mehr Orten veranstaltet wird und den Teenagern den Raum gibt, sich im Coden auszuprobieren.

 

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Bei „Jugend hackt“ können Schülerinnen und Schüler an eigenen Programmier-Projekten tüfteln

 

Erfolgreiche Initiativen, die bei Kindern das Interesse für Coding, Technik und Naturwissenschaften bedienen oder überhaupt erst wecken, sind meist Zusatzangebote. Doch auch in den Schulen gibt es Bewegung, etwa mit Smartboards und Tablets. Eine große Chance könnten künftig Bastelplatinen, mit denen Kids zum Teil schon in der Grundschule eigene Programmier-Projekte starten können. Die britische BBC hat es vorgemacht und so genannte micro:bits im Rahmen einer Bildungsinitiative an mehr als eine Million Grundschüler verteilt. Die Platinen sind inzwischen auch hierzulande erhältlich.

In Deutschland soll es mit dem Calliope Mini ähnlich laufen. Das kleine Board ist mit dem micro:bit kompatibel und soll ebenfalls schon im Grundschulalter genutzt werden, um etwa kleine Roboter zu konstruieren oder kleine Experimente mit Licht und Sound durchzuführen. Der Mikrocontroller wurde beim IT-Gipfel in Saarbrücken vorgestellt und wird u.a. von Internetbotschafterin Gesche Jost unterstützt. Treiber der Initiative sind Unternehmer aus der IT- und Digitalwirtschaft. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Projekt Bayduino, das sich für Schüler ab der 7. Klasse eignet. Die erste Serie konnte in diesem Jahr durch erfolgreiches Crowdfunding in den Markt starten.

 

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Schafft es der Calliope mini flächendeckend in die Grundschulen?

 

Viele Unternehmen engagieren sich inzwischen für die Förderung von digitalen Schulen und Programmierprojekten. Microsoft hat nach einem umfangreichen Testlauf nun die Vollversion der Minecraft Education Edition veröffentlicht. Damit können zum Beispiel ganze Klassen gemeinsam an einer Welt arbeiten. Google will gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für intelligente Analyse- und Informationssysteme die kostenlose Programmierplattform Open Roberta flächendeckend an deutsche Schulen bringen. Die Deutsche Telekom Stiftung lässt unter anderem Studentinnen und Studenten an neuen digitalen Lehrmöglichkeiten forschen. Auch in die Einführung des Calliope mini investiert die Stiftung.  Verbände wie der VDI sind ebenfalls mit eigenen MINT-Aktivitäten wie dem „VDIni-Club“ unterwegs. Aber auch Städte und Länder werden aktiv, beispielsweise hat die Stadt Köln eine neue Online-Plattform für digitale Bildung eingerichtet und veranstaltet regelmäßig ein Barcamp für Lehrer und Nicht-Lehrer, den Digital Education Day.

 

 

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Minecraft nicht nur zuhause, sondern auch in der Schule – für meinen Sohn bislang leider keine Option

 

Auf dem Spielzeugmarkt tut sich ebenfalls so einiges, um die Kids an neue Technologien heranzuführen. Von Programmier-Apps oder dem Holzroboter „Cubetto“ schon für die Kleinsten über Elektronik-Baukästen bis hin zum „Code Master“ oder „Wonder Workshop Dash Roboter“ oder oder oder… Unter dem Weihnachtsbaum dürfte sich dieses Jahr so manches davon wiederfinden.

 

 

Warum ist das wichtig?

 

Dass es immer mehr Bewegung in Richtung MINT-Förderung gibt, ist aus meiner Sicht eine gute Entwicklung. Aber es ist wieder mal ein Bildungs-Flickenteppich, der da gerade ausgebreitet wird. Der in meinen Augen wieder einmal denjenigen Vorteile bringt, die sowieso schon viel Unterstützung aus dem Elternhaus bekommen. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass die Schere zwischen gebildeten und bildungsfernen Schichten noch größer wird, und sich auch noch die zwischen digital Kompetenten und digitalen Underdogs öffnet. Einzel-Initiativen und Großprojekte sind lobenswert, aber die müssen eingebettet sein in eine Gesamtstrategie. Der Digitalpakt ist hoffentlich ein gelungener Anfang.

Warum sollte uns das wichtig sein? Aus unserem ganz eigenen Interesse heraus. Viele Berufe, können künftig automatisiert erledigt werden. Dafür entstehen neue Jobs, die jedoch selbständiges kreatives Denken, Empathie, komplexes Wissen und Mut zu eigenen Entscheidungen erfordern. Darauf müssen wir die Kinder vorbereiten, und zwar möglichst alle, wenn wir nicht eine neue Arbeitslosen-Generation heranziehen wollen. Neue Technologien zu bedienen und richtig zu verstehen, Medienkompetenz vermitteln, das ist die Aufgabe, die Elternhäuser und Schulen mehr denn je haben.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der aktuellen Fake-News-Debatte muss uns zum Beispiel diese Meldung dazu bringen, etwas zu tun: Ein Großteil der Jugendlichen kann im Internet nicht zwischen Werbung und Nachrichten unterscheiden, schreibt die t3n. Zwar bezieht sich der Bericht auf eine Untersuchung in den USA. Trotzdem sollte uns klar sein, dass es eben nicht reicht, im neuesten Social Network mitmachen zu können. Für die Kids geht es um viel mehr. Eigentlich sollte heutzutage der Einfluss der Digitalisierung in jedem Schulfach eine Rolle spielen, denn das, was gerade in unserem Leben und in unserer Arbeitswelt passiert, betrifft früher oder später jeden Job in jeder Branche.

Nicht jeder soll Informatiker werden – obwohl unsere Unternehmen dringend entsprechend ausgebildete Kräfte bräuchten. Aber ein Verständnis und Begeisterung für Technologie und Programmierung sind zunehmend auch in anderen Berufen hilfreich. Künftig könnten diese Kenntnisse sogar zur Eintrittskarte für die meisten Broterwerbe werden. Das gilt vor allem international, denn wer coden kann, der kann sich schon heute oftmals aussuchen, in welchem Land er arbeiten möchte.

Ach ja: Vielleicht können unsere Kinder dann gemeinsam mit uns  „Upskilling“ in Sachen Informatik und digitalen Technologien betreiben – denn auch in unseren Berufen wird sicher noch so manche Überraschung auf uns warten…

 

Fotos: Calliope Mini; CC-BY 4.0 Jugend hackt Schweiz, zeitgebilde.de (2); CC-BY 4.0 Jugend hackt West, Jan Faßbender, Simone Fasse 

 

 

 

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